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Transparentes Museum

Transparentes Museum

Inhaltsverzeichnis

EINFÜHRUNG

Wer spricht im Museum? Welche unterschiedlichen Perspektiven haben die Museumsmitarbeiter:innen auf ein Kunstwerk? Das Projekt „Transparentes Museum” macht die verschiedenen Sichtweisen und Erinnerungen des Museumsteams erlebbar.

Ob im handwerklichen Bereich, in der Depotverwaltung oder der Ausstellungsplanung: Als Mitarbeiter:innen des Museums arbeiten wir alle mit der Kunst und haben zu ihr eine persönliche Beziehung, die über das reine kunsthistorische Verstehen hinausgeht. Diese individuellen Perspektiven stehen hier im Vordergrund. Im Zentrum des Raumes werden ausgewählte Kunstwerke der Sammlung gezeigt, die mit unterschiedlichen Geschichten und Erinnerungen verbunden sind. Die Präsentation wechselt regelmäßig, um immer wieder neue Erzählungen und Betrachtungsweisen zu fokussieren. Der technische Ausstellungsleiter führt beispielsweise durch einen aufwendigen Installationsaufbau; eine Kunstvermittlerin zeigt, wie die Kunst im Museum dazu anregt, selbst kreativ zu werden; und die Restauratorinnen geben einen Einblick in die besondere Beziehung zwischen Sammler:in und Kunstwerk.

Indem das Museum die Personen und Berufe vorstellt, die an den Ausstellungen mitwirken, möchte es museale Abläufe und Strukturen sichtbar machen, die sonst verborgen bleiben. Während üblicherweise vor allem die Kurator:innen der Ausstellungen ihre Sicht auf ein Kunstwerk wiedergeben, werden hier alle Stimmen im Museum gleichwertig hörbar gemacht. Der Projektraum „Transparentes Museum“ ist ein Ort der Vielstimmigkeit und des Geschichten-Erzählens, der eine alternative Kunstbetrachtung ermöglichen soll.

Kapitel 3

PROVENIENZFORSCHUNG IM KUNSTMUSEUM

Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat das Kunstmuseum Bonn im Jahre 2021 in der eigenen Sammlung jene Werke untersucht, die vor 1945 entstanden sind. Ziel des Projektes war es, die Provenienz der Werke zu ermitteln. Die Forschungsergebnisse zu einigen dieser Werke werden in der dritten Phase des Transparenten Museums präsentiert.

Dr. Barbara J. Scheuermann über Provenienzforschung am Kunstmuseum Bonn

Dr. Barbara J. Scheuermann, Kuratorin für die Sammlung der Moderne, gibt einen Einblick in die Provenienzforschung am Kunstmuseum Bonn, berichtet über ein erst kürzlich restituiertes Werk von Paul Adolf Seehaus und macht deutlich, welche politische Relevanz dieses Thema vor allem heute noch hat.

Franz Wilhelm Seiwert, Diskussion, 1926

Kunstmuseum Bonn, Foto: Reni Hansen

Im Rahmen des Provenienzforschungsprojekts konnte die Herkunft des Gemäldes Diskussion von Franz Wilhelm Seiwert lückenlos zurückverfolgt werden. Die Aussagen des Rechtsanwalts Markus Stötzel trugen im Wesentlichen dazu bei, die Provenienz des Werks zu klären. Markus Stötzel wandte sich im Namen der Erben des Kölner Arztes Dr. Walter Blank an das Kunstmuseum und bestätigte, dass sich Seiwerts Gemälde bis 1936 in der Privatsammlung Blanks befunden hatte. Während des 2. Weltkrieges hatte zwar eine Zwangsenteignung der Sammlung stattgefunden; die Besitzverhältnisse des Gemäldes können heute aber dennoch als unproblematisch eingestuft werden.

Der jüdische Arzt und Kunstsammler Dr. Walter Blank hatte Diskussion vermutlich von dem Künstler persönlich, dessen Arzt er war, erhalten. 1936 emigrierte Blank mit seiner Familie nach Belgien. Die Nationalsozialisten versteigerten die Kunstsammlung – darunter Werke von Otto Dix, Max Pechstein und Marc Chagall – und sein Haus an die Stadt Köln. Der Beigeordneten Dr. Werner Heringhaus mietete das Haus schließlich, verließ Köln aber nach Kriegsende wieder.

Währenddessen verstarb Walter Blank 1938 im spanischen Exil; seine beiden Söhne Hans Walter und Peter Max Blank überlebten jedoch die Haft im Konzentrationslager Gurs und kehrten 1945 nach Deutschland zurück. Anfang der 1950er Jahre wurde die Kölner Villa mitsamt dem Inventar an die Söhne restituiert. Ein wesentlicher Teil der Kunstsammlung Blank war zu diesem Zeitpunkt bereits verloren gegangen und wird bis heute vermisst. Das Gemälde Diskussion jedoch hatte sich noch in der Villa Blank befunden und konnte bereits wenige Jahre nach Kriegsende den rechtmäßigen Besitzern, den Söhnen Walter Blanks, übergeben werden.

Hans Walter und Peter Max Blank verkauften das Werk schließlich an den Restaurator und Kunstsammler Wolfgang Hahn, der es 1966 wiederum über die Galerie Zwirner Köln an das Kunstmuseum Bonn verkaufte.

Wilhelm Lehmbruck, Weiblicher Torso, 1910-1911

Kunstmuseum Bonn, Foto: Reni Hansen

Im Jahr 1921 hatte der Kunsthistoriker und Sammler Dr. Hermann Wurz die Skulptur Weiblicher Torso von Wilhelm Lehmbruck bei der Galerie Schaller in Stuttgart erworben. Anfang der 1930er Jahre geriet Wurz nach dem Zusammenbruch seiner Bank jedoch in finanzielle Schwierigkeiten und war genötigt, Teile seiner Kunstsammlung veräußern. Verschiedene Korrespondenzen belegen, dass mehrere Versuche, den Torso zu verkaufen, scheiterten.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gehörte Wurz zudem der demokratischen Freiheitsbewegung an. Er war Mitglied der „Stuttgarter Gruppe“ des National-Komitees „Freies Deutschland“ und gehörte damit zu den aktiven Gegner:innen des NS-Regimes. Aufgrund seiner Mitgliedschaft wurde er am 21. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet und ein Jahr später im Konzentrationslager Flossen­bürg erschossen.

Unklar ist, wo sich die Skulptur von Wilhelm Lehmbruck in dieser Zeit und bis zum Eingang in die Sammlung des Kunstmuseums befand. Hatte Wurz sie vor seiner Verhaftung verkaufen können? Hatte er sie dem Bildhauer Alfred Lörcher übergeben? In einem Bestätigungsschreiben aus dem Jahr 1951 bezeugt Alfred Lörcher, dass das Werk ursprünglich Hermann Wurz gehörte – Lörcher war also offenbar mit Wurz bekannt und wusste, dass der Weibliche Torso in seinem Besitz gewesen war.

Das Kunstmuseum Bonn kaufte die Skulptur 1952 bei der Galerie Ferdinand Möller. Es gibt jedoch auch Hinweise, dass die gleiche Galerie bereits in den 1930er Jahren Wurz bei dem Versuch unterstützte, den Torso zu verkaufen – befand sie sich also vielleicht die ganze Zeit im Besitz der Galerie?

Diese Fragen konnten im Rahmen des Provenienzforschungsprojekts leider nicht geklärt werden. Aufgrund der Biografie von Dr. Hermann Wurz, seiner aktivistischen Tätigkeiten für die Freiheitsbewegung und seiner anschließenden Hinrichtung, ist allerdings nicht auszuschließen, dass der Verlust des Werkes mit der Verfol­gung durch die National­sozialisten zusammenhing.

Paul Adolf Seehaus, Leuchtturm mit rotierenden Strahlen, 1913

Kunstmuseum Bonn, Foto: Reni Hansen

Das Gemälde Leuchtturm mit rotierenden Strahlen von Paul Adolf Seehaus war bereits seit 1919 im Besitz des jüdischen Kunstsammlers und Galeristen Alfred Flechtheim gewesen. Im Jahr 1933 floh er vor den Nationalsozialisten und ließ seine gesamte Kunstsammlung in Deutschland zurück. Sein langjähriger Mitarbeiter und Geschäftspartner Alexander Vömel übernahm die Kunstsammlung, als Flechtheim das Land verließ. In den Räumlichkeiten der Galerie Flechtheim in Düsseldorf eröffnete Vömel schließlich eine Galerie unter eigenem Namen. Doch unter welchen Umständen die Übernahme der Sammlung Flechtheims stattfand, ist bisher ungeklärt: Hatte Flechtheim ihm die Sammlung zur Verwahrung übergeben, oder hatte Vömel sie unrechtmäßig einbehalten?

Das Kunstmuseum erwarb das Werk im Jahr 1949 auf einer Auktion des Kunstkabinetts Ketterer in Stuttgart. Seitdem war es fester Bestandteil der Sammlung. Im September 2009 wandten sich die Erben Alfred Flechtheims mit der Anfrage an das Museum, das Werk zu prüfen und gegebenenfalls zurückzugeben. Der Provenienzforscher Dr. Axel Drecoll untersuchte daraufhin die Geschichte des Werkes. Die zentrale Frage, ob die Kunstsammlung Flechtheims eine „Arisierung“ – also eine Übernahme von jüdischem in nichtjüdischen Besitz während der nationalsozialistischen Herrschaft – erfahren hatte, konnte jedoch aufgrund fehlender Daten nicht beantwortet werden.

Ungeachtet der offenen Fragen hat das Museum das Verfolgungsschicksal Alfred Flechtheims als Grund für den Anspruch seiner Nachkommen auf das Werk anerkannt: Als Jude und als Verfechter der „entarteten“ Kunst war er ein Opfer des NS-Regimes und dazu gezwungen, zu emigrieren und seinen Besitz abzugeben. Dass der Verlust des Kunstwerkes mit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zusammenhing, ist also nicht auszuschließen. Daher wurde zwischen dem Kunstmuseum und den Nachkommen Flechtheims eine gütliche Übereinkunft erwirkt: Mit der Unterstützung des Vereins der Freunde des Kunstmuseums konnte den Erben die Hälfte des geschätzten Marktwertes gezahlt werden und das Gemälde im Eigentum des Museums bleiben.

Heinrich Nauen, Herbstwald, um 1911

Kunstmuseum Bonn, Foto: Reni Hansen

Die Herkunftsgeschichte des Gemäldes Herbstwald von Heinrich Nauen konnte bislang nicht lückenlos geklärt werden. Das Kunstmuseum Bonn erwarb das Gemälde im Jahr 1963 von der Kölner Galerie Aenne Abels, die es im Auftrag einer namentlich unbekannten Familie verkaufte. Diese hatte es 1939 im Kunsthandel aus ebenfalls unbekanntem Privatbesitz erworben. Weitere Informationen zu der Provenienz lagen bisher nicht vor. Neben fehlender Daten werden in verschiedenen Quellen und Ausstellungskatalogen weitere Werke von Heinrich Nauen mit ähnlichen Titeln genannt; darüber hinaus wurde eine Fälschung des Gemäldes von Wolfgang Beltracchi identifiziert. Diese Umstände erschweren die eindeutige Nachverfolgung des Originals.

Die Nachforschungen von Vanessa Voigt lassen jedoch die Vermutung zu, dass der jüdische Journalist Dr. Heinz Simon der ursprüngliche Besitzer des Werkes war. Im Jahr 1914 wird Simon im Rahmen einer Ausstellung in der Galerie Flechtheim Düsseldorf als Leihgeber des Gemäldes Herbst von Heinrich Nauen genannt.

Dr. Heinz Simon war Journalist, Verleger und Vorsitzender der Geschäftsführung der Frankfurter Zeitung. Darüber hinaus war er ein bedeutender Förderer und Sammler Moderner Kunst. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und antinationalsozialistischen Haltung, war er bereits ab 1931 Opfer mehrerer antisemitischer Angriffe. 1934 emigrierte er mit seiner Ehefrau Irma zunächst nach Paris und dann nach Washington, wo er 1941 Opfer eines Mordanschlags wurde. Seine Kunstsammlung gilt bis heute als verschollen.

Ob es sich bei dem Gemälde aus Simons Kunstsammlung um den hier gezeigten Herbstwald handelte, lässt sich allerdings nicht eindeutig bestimmen. Aufgrund der ungeklärten Fragen ist die Provenienz jedoch als problematisch einzustufen. Vor allem durch die Angabe der Galerie Anne Aebels, das Gemälde sei 1939 im Kunsthandel verkauft worden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Verkauf mit einer Zwangsenteignung durch die Nationalsozialisten zusammenhing.

Kapitel 2

EIN GLÜCKSFALL FÜR DAS MUSEUM

August Macke, Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer, 1911

Schenkung Jürgen Hall 2008

Foto: Reni Hansen

August Mackes Gemälde Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer wird bereits seit mehr als 30 Jahren durch das Kunstmuseum Bonn betreut und gehört zu den Glanzstücken der Sammlung. Im Jahr 2008 hätte es das Museum beinahe auf Dauer verlassen müssen – glückliche Umstände und ein großzügiger Sammler konnten diesen Verlust jedoch verhindern. Die Restauratorin Antje Janssen und der Museumsintendant Prof. Dr. Stephan Berg berichten hier über die Geschichte dieses Gemäldes, über dessen besondere Verbindung zum Kunstmuseum Bonn und zu dem Sammler Jürgen Hall.

Prof. Dr. Stephan Berg über August Mackes "Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer"

"Ich war 2008 erst sehr kurz am Kunstmuseum Bonn, als ich die betrübliche Nachricht bekam, dass die Leihgeber des Gemäldes von August Macke, Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer, diese Arbeit von uns abziehen würden, um sie zu versteigern. Die Arbeit war seit 1988 bei uns und gehörte sozusagen zum inneren Bestand. Sie ist auch eine ganz wichtige Arbeit von August Macke, weil sie den Einfluss von Matisse auf sein Oeuvre sehr deutlich zeigt und mit dem japanischen Fächer auch den Einfluss des Japonismus, der in dieser Zeit in den 10er-, 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wichtig für die Kunst insgesamt war. Es war eine Katastrophe, die drohte und die wir als Museum auch gar nicht hätten verhindern können. Man hatte uns die Arbeit zwar mit Vorkaufsrecht angeboten, aber wir hatten natürlich nicht das Geld. Wir wussten, dass die Arbeit bei über 1 Millionen liegt und wir hatten nicht einmal zehn Prozent Betrags, um die Arbeit zu kaufen.  Mitten in diese für uns sehr bedrohliche Situation, rief mich ein Mann an, den ich überhaupt nicht kannte. Er stellte sich als Jürgen Hall vor und erzählte mir Unglaubliches, nämlich dass er diese Arbeit nicht nur ersteigert hätte – für stolze 1,6 Millionen –, sondern auch bedingungslos dem Museum schenken würde.

Wie man als Museumsdirektor in so einer Situation ist, war ich zunächst einmal misstrauisch, welche Erwartungen möglicherweise mit diesem Angebot verknüpft sein könnten. Ich musste aber feststellen, und das gilt bis heute, es gab keine Erwartungen. Es war wirklich ein reiner mäzenatischer Akt, der sich zwei Gründen verdankte. Der eine Grund war der, dass Jürgen Hall hier in Bonn zur Schule gegangen war und auch einen Teil seines Freundeskreises hier in Bonn und in Bad Godesberg hatte. 

Der zweite für uns noch wichtigere Grund war der, dass Jürgen Hall der wunderbaren Auffassung war: Bilder müssen dahin, wo sie in ihrem Kontext gesehen werden, wo sie ihren Sinnzusammenhang komplett entfalten können. Und das ist ganz sicher hier im Kunstmuseum Bonn der Fall. Wir haben ja neben Münster die größte Sammlung von August Macke-Arbeiten weltweit. 

 Diese wunderbare Zusammenarbeit mit Jürgen Hall hat sich in der Folge noch fortgesetzt. Im selben Jahr, in dem wir wieder in den Besitz von August Macke Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer kamen, ersteigerte Jürgen Hall die Arbeit „Nadia“ von Emil Nolde aus dem Jahre 1919 und stellte sie uns als Dauerleihgabe zur Verfügung. Und wir konnten auch in der weiteren Zeit mit Jürgen Hall immer wieder darüber reden, welche Arbeiten für das Haus besonders attraktiv wären. Wir sind ja ein Museum, das auch eine bedeutende Sammlung zu Gerhard Richter hat und als eine große Privatsammlung auf den Markt kam, konnten wir mit Jürgen Hall erreichen, dass er für uns die wichtige Arbeit „Die zwei Schwestern“ von Gerhard Richter aus dem Jahre 1967 ersteigert hat.

Diese Arbeit ist für uns auch bedeutsam, weil man auf diesem Bild nicht nur die im Titel genannten „Zwei Schwestern“ sieht – übrigens etwas entblößt, ein Motiv aus dieser ganz kurzen, etwas erotisch gefärbten Phase von Gerhard Richter –, sondern im Hintergrund auch einen Vorhang. Und diesen Vorhang haben wir wiederum in unserer Sammlung, sodass die „Zwei Schwestern“ sehr schön auf diesen Vorhang verweisen und eine Kombination mit dieser Arbeit bilden. 

 Nach dem Tod von Jürgen Hall, der leider 2021 verstorben ist, hat sich diese Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Tabakwaren Hall und mit seinem Ziehsohn Michael Reisen-Hall auf eine sehr schöne Art fortgesetzt. Michael Reisen-Hall hat 2023 das wichtige Bild von Alexey von Jawlensky, „Mädchen mit Zopf“ aus dem Jahre 1910, ersteigert und hat nach längerem Überlegen und Gesprächen mit unserem Haus im letzten Jahr uns diese Arbeit auch als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt, die sich ganz wunderbar in den Kontext von August Macke und den rheinischen Expressionisten einfügt. 

Man kann also sagen, die gesamte Geschichte mit Jürgen Hall, angefangen von der ersten Schenkung bis jetzt zu der Leihgabe Jawlensky, ist eine einzige wunderbare Erfolgsgeschichte und auch eine sehr schöne Geschichte, die zeigt, wohin man ein Museum entwickeln kann, wenn man Sammler hat, die sich als echte und wirklich wohltätige Mäzene verstehen."

Antje Janssen, Leiterin der Restaurierung

Foto: David Ertl

Die Restauratorin Antje Janssen erzählt über August Mackes „Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer" von 1911

„Das Gemälde Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer von August Macke ist über 20 Jahre lang von den Restauratorinnen des Kunstmuseums gepflegt und begleitet worden.

Wir haben daran immer wieder konsolidierende* Maßnahmen vorgenommen, weil es kleine Malschichtabhebungen gab, die wir gefestigt haben. Aber wir haben uns auch präventive Maßnahmen überlegt: Zum Beispiel wurde der Rahmen modifiziert und eine besondere Schutzverglasung angebracht. Dieses Museumsglas ist entspiegelt und kann über 90 Prozent der UV-Strahlung absorbieren. Da es eine Verbundglasscheibe ist, schützt eine dünne Folie das Gemälde außerdem bei mechanischen Beschädigungen vor Splittern.

Viele Jahre lang haben wir das Gemälde als Kurierinnen bei Ausstellungen begleitet. Es ist sehr häufig ausgeliehen worden und war in Berlin, Münster, Tübingen und Moskau. Diese ganzen Ausstellungen haben dazu beigetragen, das Werk bekannter und letztendlich immer wertvoller zu machen.

Als wir eine Ausleihanfrage nach Japan erhielten, was ja eine ganz andere Klimaregion ist, haben wir darüber hinaus eine Klimavitrine für das Gemälde gebaut. Diese schafft um das Gemälde ein Kleinklima, welches klimatische Veränderungen abpuffert. Für eine Klimavitrine werden alle hygroskopischen* Teile des Rahmens – insbesondere die Holzteile – mit einer selbstklebenden Aluminiumfolie ganz dicht abgedeckt. Man bringt außerdem einen Rückseitenschutz an, der nicht mehr saugend ist – in diesem Fall aus einer Macrolonplatte* – und sämtliche Schraubverbindungen werden mit kleinen Gummidichtungen isoliert. So kann man dafür sorgen, dass ein Gemälde klimatische Veränderungen nur ganz langsam erfährt – auch wenn es in eine ganz andere Region reist – und je langsamer, desto schonender ist das für das Gemälde.

Als wir dann 2007 hörten, dass das Gemälde verkauft werden sollte, waren wir bestürzt, mussten das aber natürlich hinnehmen. Wir haben das Gemälde danach lange nicht gesehen und waren sehr überrascht, dass Jürgen Hall das Gemälde in London auf der Auktion ersteigert und uns sogar zurückgeschenkt hat. Das war wirklich bewegend.

Als das Gemälde zurückkam, waren wir natürlich gespannt, wie es aussah – und es hatte sich auch wirklich verändert. Als erstes fiel auf, dass die Glasscheibe fehlte. Die Klimavitrine war aufgeschnitten, der Rückseitenschutz entfernt worden. Das ist erstmal nicht ungewöhnlich, weil die Werke in Auktionshäusern meistens so authentisch und pur wie möglich präsentiert werden. Aber in diesem Fall hatte auch der Rahmen Schaden genommen: Alle vier Gehrungen – also die Ecken des Rahmens, wo die Holzleisten miteinander verleimt sind – waren offen. Der Rahmen hatte außerdem Einschnitte, Abschürfungen und eingedellte Bereiche. Und auch das Gemälde hatte einige Abnutzungen an den Kanten.

Wir haben den Rahmen neu verleimt, eine neue Glasscheibe angebracht und für einen neuen Rückseitenschutz gesorgt. Das Gemälde wurde schön gepflegt und so kann es heute wieder hier im Museumsraum bewundert werden.“

 

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*konsolidieren = in seinem Bestand festigen, sichern

*hygroskopisch = Substanzen, die Wasser aus ihrer Umgebung anziehen und aufnehmen

*Macrolonplatten = Hinter dem Produktnamen Macrolon steckt das sogenannte „Polycarbonat“. Dieser Werkstoff gilt als hoch komplexer Kunststoff, der aus festen Kohlenstoffen besteht

Kapitel 1

LEBALYKS REISE & KATHARINA GROSSE

Der Stop-Motion-Film Lebalyks Reise erzählt die Geschichte des Schmetterlings Lebalyk, der aufgrund von Gefahren und Zerstörungen durch einen Krieg seine Heimat verlassen muss.

Der Film entstand zwischen April und August 2024 im Rahmen eines Workshops von der Kunstvermittlerin Dania D’Eramo mit sieben Jugendlichen: Abdulrahman Almolhem, Hanna & Mariia Chainiuk, Sofiia Kolbacyk, Sofiia Korshykova, Eszter Mnich und Elisaveta Pryamonosova. Im Anschluss läuft die Dokumentation der Produktion von Inga Krueger und Dania D’Eramo.

Während des Projekts beschäftigten sich die Jugendlichen mit ihrer eigenen Fluchterfahrung und versuchten, ihre individuellen Erlebnisse in die Geschichte von Lebalyk zu übersetzen. Inspiriert durch die expressiv-dynamischen Gemälde der Malerin Katharina Grosse schufen die jungen Künstler:innen Kulissen und Figuren für den Film: Sie malten bunte Hintergrundlandschaften und erstellten einzigartige Charaktere, die wie Avatare als Stellvertreter für sie selbst dienen. In dem Film werden diese Avatare zu Lebalyks Weggefährten auf der gemeinsamen Suche nach Frieden.

Vom 25. April bis zum 22. September 2024 war im Kunstmuseum Bonn die Ausstellung Katharina Grosse. Studio Paintings 1988–2023 zu sehen. Katharina Grosse ist international bekannt für ihre expan­siven, dynami­schen Spray-Arbeiten und Gemälde, mit denen sie die Grundfragen der Malerei neu denkt und erweitert.

Ihre kraftvollen, bunten Kunstwerke entfalten eine starke visuelle Kraft, die Kunstvermittler:innen und Teilnehmende von Kunst­workshops dazu angeregt hat, mit Farben, Techniken und Strukturen zu experimentieren. So haben auch die Jugendlichen des Workshops Mitmach-Kunst-Koffer gemeinsam die Ausstellung besucht, einzig­artige Kunstwerke geschaffen und damit den in diesem Raum gezeig­ten Film Lebalyks Reise produziert.

Katharina Grosse, Ohne Titel, 2002

Dauerleihgabe Sammlung Kico

Foto: David Ertl

Die Präsentation des Raumes "Transparentes Museum" wechselt alle 2-3 Monate. Mit jeder Präsentation wächst auch dieser Digital Guide.

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