"Ich war 2008 erst sehr kurz am Kunstmuseum Bonn, als ich die betrübliche Nachricht bekam, dass die Leihgeber des Gemäldes von August Macke, Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer, diese Arbeit von uns abziehen würden, um sie zu versteigern. Die Arbeit war seit 1988 bei uns und gehörte sozusagen zum inneren Bestand. Sie ist auch eine ganz wichtige Arbeit von August Macke, weil sie den Einfluss von Matisse auf sein Oeuvre sehr deutlich zeigt und mit dem japanischen Fächer auch den Einfluss des Japonismus, der in dieser Zeit in den 10er-, 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wichtig für die Kunst insgesamt war. Es war eine Katastrophe, die drohte und die wir als Museum auch gar nicht hätten verhindern können. Man hatte uns die Arbeit zwar mit Vorkaufsrecht angeboten, aber wir hatten natürlich nicht das Geld. Wir wussten, dass die Arbeit bei über 1 Millionen liegt und wir hatten nicht einmal zehn Prozent Betrags, um die Arbeit zu kaufen. Mitten in diese für uns sehr bedrohliche Situation, rief mich ein Mann an, den ich überhaupt nicht kannte. Er stellte sich als Jürgen Hall vor und erzählte mir Unglaubliches, nämlich dass er diese Arbeit nicht nur ersteigert hätte – für stolze 1,6 Millionen –, sondern auch bedingungslos dem Museum schenken würde.
Wie man als Museumsdirektor in so einer Situation ist, war ich zunächst einmal misstrauisch, welche Erwartungen möglicherweise mit diesem Angebot verknüpft sein könnten. Ich musste aber feststellen, und das gilt bis heute, es gab keine Erwartungen. Es war wirklich ein reiner mäzenatischer Akt, der sich zwei Gründen verdankte. Der eine Grund war der, dass Jürgen Hall hier in Bonn zur Schule gegangen war und auch einen Teil seines Freundeskreises hier in Bonn und in Bad Godesberg hatte.
Der zweite für uns noch wichtigere Grund war der, dass Jürgen Hall der wunderbaren Auffassung war: Bilder müssen dahin, wo sie in ihrem Kontext gesehen werden, wo sie ihren Sinnzusammenhang komplett entfalten können. Und das ist ganz sicher hier im Kunstmuseum Bonn der Fall. Wir haben ja neben Münster die größte Sammlung von August Macke-Arbeiten weltweit.
Diese wunderbare Zusammenarbeit mit Jürgen Hall hat sich in der Folge noch fortgesetzt. Im selben Jahr, in dem wir wieder in den Besitz von August Macke Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer kamen, ersteigerte Jürgen Hall die Arbeit „Nadia“ von Emil Nolde aus dem Jahre 1919 und stellte sie uns als Dauerleihgabe zur Verfügung. Und wir konnten auch in der weiteren Zeit mit Jürgen Hall immer wieder darüber reden, welche Arbeiten für das Haus besonders attraktiv wären. Wir sind ja ein Museum, das auch eine bedeutende Sammlung zu Gerhard Richter hat und als eine große Privatsammlung auf den Markt kam, konnten wir mit Jürgen Hall erreichen, dass er für uns die wichtige Arbeit „Die zwei Schwestern“ von Gerhard Richter aus dem Jahre 1967 ersteigert hat.
Diese Arbeit ist für uns auch bedeutsam, weil man auf diesem Bild nicht nur die im Titel genannten „Zwei Schwestern“ sieht – übrigens etwas entblößt, ein Motiv aus dieser ganz kurzen, etwas erotisch gefärbten Phase von Gerhard Richter –, sondern im Hintergrund auch einen Vorhang. Und diesen Vorhang haben wir wiederum in unserer Sammlung, sodass die „Zwei Schwestern“ sehr schön auf diesen Vorhang verweisen und eine Kombination mit dieser Arbeit bilden.
Nach dem Tod von Jürgen Hall, der leider 2021 verstorben ist, hat sich diese Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Tabakwaren Hall und mit seinem Ziehsohn Michael Reisen-Hall auf eine sehr schöne Art fortgesetzt. Michael Reisen-Hall hat 2023 das wichtige Bild von Alexey von Jawlensky, „Mädchen mit Zopf“ aus dem Jahre 1910, ersteigert und hat nach längerem Überlegen und Gesprächen mit unserem Haus im letzten Jahr uns diese Arbeit auch als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt, die sich ganz wunderbar in den Kontext von August Macke und den rheinischen Expressionisten einfügt.
Man kann also sagen, die gesamte Geschichte mit Jürgen Hall, angefangen von der ersten Schenkung bis jetzt zu der Leihgabe Jawlensky, ist eine einzige wunderbare Erfolgsgeschichte und auch eine sehr schöne Geschichte, die zeigt, wohin man ein Museum entwickeln kann, wenn man Sammler hat, die sich als echte und wirklich wohltätige Mäzene verstehen."